Fragen dazu an Julia Zabudkin, Dipl.-Sozialpädagogin, Leiterin von Nezabudka

Lisa Richter: Frau Zabudkin, im September 2008 wird Nezabudka zwei Jahre alt. Zeit für einen Rückblick: Wer hatte genau die Idee zu diesem Projekt? Wann war das?

Julia Zabudkin: Die Idee hatte ich bereits im Jahr 2000. Als ich mit meinem – ebenfalls russischsprachigen Ehemann – und meinem fast dreijährigen Sohn aus Dortmund nach Frankfurt übersiedelte, wollte ich unbedingt sicherstellen, dass er mit dem Kindergartenbesuch nicht nur perfekt Deutsch lernt, sondern sich auch im Russischen nach wie vor zu Hause fühlt. Bei meiner Suche nach bilingualen Angeboten oder rein russischen Spielgruppen in Frankfurt wurde ich aber nicht fündig. Als Diplom-Sozialpädagogin hatte ich die notwendige Ausbildung, um daran etwas zu ändern. Durch die Gründung einer Kindertagesstätte wollte ich meine Vision verwirklichen, den Erhalt beider Sprachen und das Zusammenführen beider Kulturen bei den Kindern zu fördern. Während ich das Konzept erarbeitete, habe ich bereits russische Spielgruppen zuerst in der evangelischen Familienbildungsstätte und dann im Haus der Volksarbeit organisiert und durchgeführt. Nachdem ich mein Konzept eingereicht hatte, kam es zu vielen Gesprächen mit dem Stadtschulamt, in dem Ziele, Organisation usw. der geplanten Einrichtung dargelegt werden mussten. Im Sommer 2005 erfolgten dann die finanzielle Zusage der Stadt und die Betriebserlaubnis.

Warum dauerte es dann noch so lange bis zur Eröffnung der Kita im September 2006?

Die Raumsuche erwies sich als sehr langwierig und schwierig. Ich habe – glaube ich – über sechzig Objekte besichtigt, stand einige Mal kurz vor dem Abschluss des Mietvertrags. Damit stehen wir noch gut da.

Auch geeignetes, erfahrenes Personal musste gefunden werden, das unseren Anforderungen an die Offenheit für die bilinguale Erziehung und die jeweils andere Kultur entsprach und unser Konzept mitzutragen bereit war. Überbrückt haben wir diese Phase durch die Einrichtung des deutsch-russischen Minikindergartens „Solnyschko“ im Russlandhaus am Oeder Weg. Dort konnten die Kleinen ab anderthalb Jahre an 2-3 Tage die Woche für einige Stunden Kindergartenluft schnuppern. Hier haben auch zwei der russischsprachigen Erzieherinnen gearbeitet, die dann bei der Eröffnung von Nezabudka mit dabei waren.

Wer hat Ihnen bei der Planung und Umsetzung geholfen?

Als segensreich erwies sich der Kontakt zu Natalia Vukolova, der Vorsitzenden des Vereins Slowo e.V., die großes Interesse an dem Projekt zeigte und mich intensiv unterstützt hat. Slowo e.V. unterhielt zu diesem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren in Frankfurt eine russische Samstagsschule für Kinder ab dem Grundschulalter und war als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Frau Vukolova und ihr Verein erklärten sich dann auch bereit, Träger der geplanten Kita zu werden. Die Gespräche mit der Stadt waren mit so einem anerkannten Träger im Rücken und durch Frau Vukolovas Unterstützung natürlich viel einfacher. Auch das Stadtschulamt war sehr offen für unsere Idee und hat uns sehr gut unterstützt.

Hatten Sie bei der Entwicklung ihrer Idee einer bilingualen Kita konkrete Vorbilder im Blick, Einrichtungen, die Sie vielleicht aus anderen deutschen Städten oder aus der Ukraine kannten?

Nein, konkrete Einrichtungen hatte ich nicht vor Augen, denn es gab ja damals noch gar nicht so viele deutsch-russische Kitas in Deutschland, in Frankfurt noch gar nicht. Erst als wir dann das Konzept erarbeitet haben, habe ich entsprechende Einrichtungen in anderen deutschen Städten, zum Beispiel die Kita „Rotkäppchen“ in München, besucht und natürlich die bestehenden bilingualen Angebote in Frankfurt wie den deutsch-spanischen, deutsch-französische und den deutsch-italienischen Kindergarten.

Hat Nezabudka regelmäßigen Kontakt mit anderen deutsch-russischen Kindertagesstätten in Deutschland / gibt es einen Austausch konzeptionell, der gesammelten Erfahrungen usw. untereinander?

Ja, wir sind seit unserer Gründung im Kontakt mit der deutsch-russischen Kita Rotkäppchen in München.

Bis jetzt wurden außerdem ca. 30 telefonische und schriftliche Anfragen zur Gründung solcher Einrichtungen in ganz Deutschland von mir beantwortet. Viele Interessenten haben unsere Kita besucht, um von der Erfahrung Nezabudkas zu profitieren.

Was ist Ihr persönliches Fazit der ersten zwei Jahre Nezabudka – in wie fern wurden die ursprünglichen Ziele und Erwartungen erreicht / übertroffen / nicht erreicht, durch andere Ziele ersetzt?

Meine Erwartungen wurden erfüllt: die Einrichtung ist positiv bekannt in der Stadt, in Hessen und sogar außerhalb des Bundeslandes. In kurzer Zeit ist es uns gelungen, ein deutsch-russisches Team zu bilden, welches produktiv arbeitet und in dem jeder sein Bestes zum Gelingen beiträgt, sich laufend weiterbildet, das Konzept aktiv gestaltet und Ideen zu dessen Umsetzung einbringt.

Wir konnten die Eltern mit unserem gelebtem Konzept erreichen und zur Stärkung der Identität der zweisprachigen Kinder beitragen. Auch die Kinder beteiligen sich mit großem Interesse an allen unseren Angeboten, Projekten und Aktivitäten.

Die große Warteliste spricht sicherlich auch für den Erfolg der Einrichtung. Sie hat uns auf die Idee gebracht, eine weitere bilinguale deutsch-russische Kita und eine solche Krippe in Frankfurt zu eröffnen.

Würden Sie beim zweiten Mal irgendetwas anders machen?

In meinen Augen hat sich das Konzept von Nezabudka mit seinem festen, strukturierten Tagesablauf, dem Wechsel von Freispiel und angeleiteten Angeboten sowie von ruhigen und aktiven Phasen, der Immersionsmethode zur bilingualen Erziehung, der umfassenden Bildungsarbeit zu Inhalten, emotionalen und sozialen Fähigkeiten sowie die gewählten Methoden ihrer Umsetzung, der Erziehung zur Selbständigkeit, der Mitbestimmung und Partizipation der Kinder hervorragend bewährt. Darüber hinaus sucht das Team von Nezabudka ohnehin Wege und Instrumente zur Erreichung der Erziehungsziele unserer Kita sowie die inhaltlichen Schwerpunkte ständig zu optimieren, neuen pädagogischen Erkenntnissen, veränderten Möglichkeiten und Rahmenbedingungen sowie den Impulsen und Anregungen der Eltern, Kinder und Mitarbeiterinnen anzupassen.

Diese in den ersten zwei Jahren gemachten Erfahrungen werden bei der geplanten Eröffnung der zweiten deutsch-russischen Kita in Frankfurt für 42 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren und eine Krippe für 11 Kinder, für die wir seit Juli 2008 schon die finanzielle Zusage der Stadt haben, natürlich einfließen. Dies betrifft aber eher die die Durchführung der konzeptionellen Ziele. Grundsätzliche Veränderungen sind nicht zu erwarten!

 

Und eine kleine Frage zum Abschluss: Welche Anregungen und Wünsche würden Sie Angela Merkel mitgeben, wenn diese auf ihrer „Bildungsreise“ Nezabudka besuchen würde? Was wünschen Sie sich von ihr für die Zukunft?

Ich würde anregen, unbedingt mehr Geld in die frühkindliche Bildung zu investieren, z.B. in zweisprachige Einrichtungen oder Kitas mit einem Bildungskonzept.

Außerdem ist es elementar, einen besseren Personalschlüssel in den Kindereinrichtungen durchzusetzen und zu finanzieren. Und ich bin entschieden dafür, das Berufsbild der Erzieherin aufzuwerten und angemessen zu entlohnen.

Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die Zukunft!